„Die Corona-Pandemie wird das Arbeitsleben von Frauen nachhaltig verändern“
04.02.2021Imke Brammer-Rahlfs, Vorständin der Uelzener Versicherung über die coronabedingte, digitale Transformation des Arbeitslebens und welche Chancen sich besonders für Frauen daraus ergeben.
Die Anzahl der Frauen in den Vorständen der großen deutschen Unternehmen, die sich bis zur Corona-Pandemie vorsichtig optimistisch entwickelt hatte, ist zurückgegangen. In der Krise setzen die Unternehmen wieder mehr auf Männer in Führungspositionen, wie eine aktuelle Studie der AllBright-Stiftung belegt. Nicht so bei einem der führenden Unternehmen im Bereich Tierversicherungen: Die Uelzener Versicherung hat mit Imke Brammer-Rahlfs eine Frau im Vorstand und eine Belegschaft, die zu rund 70 Prozent aus Frauen besteht. Über das Ausnahmejahr 2020, die kurzfristigen und langfristigen Auswirkungen der Pandemie auf das Unternehmen und seine Mitarbeiter* sprachen wir mit Imke Brammer-Rahlfs
2020 ist ein Ausnahmejahr für die deutsche Wirtschaft. Wie haben Sie in Ihrem Unternehmen die Zeit der Herausforderungen, die immer noch andauert, erlebt und bewältigt?
Brammer-Rahlfs: 2020 war für uns und für viele Unternehmen ein herausforderndes Jahr. Uns selbst hat die Corona-Krise wirtschaftlich allerdings bisher kaum getroffen. Darüber sind wir sehr froh. Im Laufe des Jahres haben sich die Umsätze wieder auf normalem Niveau entwickelt und wir haben sogar spürbar neue Kunden gewinnen können. Die größte Herausforderung war in 2020, gesund zu bleiben und eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der das möglich ist. Unsere Hygieneregeln hatten wie in jedem Jahr bereits im Januar in Vorbereitung auf die alljährliche Grippewelle verschärft. Im März ist es uns innerhalb von zwei Wochen gelungen, dass zwei Drittel unserer Mitarbeiter mobil sicher arbeiten konnten. Die Herausforderungen lagen hier in den Bereichen Hard- und Software-Umrüstung sowie in einer ergonomischen Arbeitsumgebung am mobilen Arbeitsplatz. Wir freuen uns, dass das mobile Arbeiten schnell funktioniert hat und die Prozesse rundlaufen. Darüber hinaus bin ich glücklich, dass bisher noch keiner unserer Mitarbeiter an Covid-19 erkrankt ist. Und wir wünschen uns natürlich, dass das so bleibt.
Wie erklären Sie sich den spürbaren Gewinn an Neukunden?
Brammer-Rahlfs: Der Trend geht zum Haustier. Dadurch ist auch der Versicherungsbedarf gestiegen. Dass sich die Kunden verstärkt für einen Versicherungsschutz bei uns entschieden haben, hat meiner Einschätzung nach mehrere Gründe. Zum einen wissen sie unsere lange Erfahrung und unsere Fachkompetenz als Spezialversicherer für Tiere zu schätzen. Zum anderen haben unsere Mitarbeiter ein besonderes Verständnis für die Freuden und gelegentlichen Nöte von Tierhaltern, weil die meisten selbst Tiere zu Hause haben. In meiner Familie zum Beispiel sind es zwei Labradore und eine Haflingerstute. Dieses Verständnis spielt bei der Betreuung unserer Kunden eine durchaus gewichtige Rolle.
Welche Veränderungen der neuen, modernen Arbeitswelt werden – nach Corona – von Dauer sein, weil sie sich bewährt haben?
Brammer-Rahlfs: Das stärkere digitale und mobile Arbeiten wird bleiben. Allerdings haben wir in diesem Jahr auch festgestellt, dass es für die Mitarbeiter ebenso wichtig ist, den sozialen Kontakt zu halten. Aus den Teams heraus kamen Anregungen zu einer virtuellen Kaffee- oder Mittagspause und Telefonmeetings während eines Spaziergangs an der frischen Luft. Das macht den Kopf frei und verbindet zugleich. Der Anspruch an Führungskräfte, den Kontakt zu den Mitarbeitern zu halten, ist übrigens spürbar größer geworden. Zugleich müssen unsere Führungskräfte auf die Work-Life-Balance unserer Mitarbeiter achten.
Stichwort Work-Life-Balance: Gerade Frauen, die traditionell einen Großteil der Familienarbeit erledigen, haben Probleme, ihr Arbeits- und Privatleben unter einen Hut zu bekommen. Aktuelle Studien belegen, dass sich dieses Rollenmuster in der Krise verstärkt hat und Führungspositionen wieder mehr mit Männern besetzt werden. In Ihrem Unternehmen ist der Trend ein anderer, obwohl die deutsche Versicherungsbranche als eher konservativ gilt. Wie sieht das in Ihrem Unternehmen genau aus?
Brammer-Rahlfs: Vielfalt und Chancengleichheit sind bei uns seit Langem ein ganz wichtiges Thema. Vor über zwanzig Jahren habe ich noch Führungsrunden erlebt, bei denen ich die einzige Frau war. Mittlerweile sind wir ein sehr weibliches Unternehmen. 50 Prozent unserer Führungspositionen sind mit Frauen besetzt und sogar rund 70 Prozent unserer Mitarbeiter sind Frauen. Mit diesem Setting sind wir gut unterwegs – was die Unternehmenskultur angeht ebenso wie bei unserem starken Wachstumskurs der vergangenen Jahre1.
Wie kam es zu dem hohen Anteil an Frauen in Führungspositionen?
Brammer-Rahlfs: (lacht) Die Frauen haben sich durchgesetzt. Aber keine Frau bekommt einen Posten, nur weil sie eine Frau ist. Sie bekommt ihn, weil sie dafür qualifiziert ist. Bei der Besetzung von Stellen darf das Geschlecht keine Rolle spielen. Und dass wir im Unternehmen einen so hohen Frauenanteil haben, hat sich organisch entwickelt. Wir sind sehr familienfreundlich. Viele Frauen kommen bereits nach einer kurzen Babypause wieder ins Unternehmen zurück.
Was empfehlen Sie Frauen, die Karriere machen wollen?
Brammer-Rahlfs: Im Netzwerken haben Frauen sicher noch Nachholbedarf. Da sind Männer häufig besser unterwegs bzw. legen mehr Wert darauf. Außerdem ist meine Erfahrung, dass Frauen oft mehr Selbstzweifel und weniger Selbstbewusstsein haben könnten, was die eigenen Fähigkeiten betrifft. Was mir auffällt: Viele Frauen stehen sich auch mit ihrem Perfektionismus im Weg. Doch man kann es einfach nicht allen Recht machen. Entscheidend für den Weg an die Spitze sind die Soft-Skills, ein starker Wille und eine klare Lebensplanung.
Und Sie selbst hatten diese klare Lebensplanung?
Brammer-Rahlfs: Dass ich Vorständin geworden bin, sehe ich als Geschenk. Immerhin haben rund 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland keine Frau im Vorstand. Ich habe mir diese Position allerdings auch erarbeitet. Mein Lebensplan war von Anfang an Kinder und Karriere zu vereinen. Ich wusste: Das geht nur mit entsprechender Unterstützung durch meinen Mann und die Familie. Und die habe ich bekommen.
Gibt es Ihrer Einschätzung nach einen dezidiert weiblichen Führungsstil?
Brammer-Rahlfs: Meine Erfahrung ist, dass Unterschiede im Führungsstil weniger am Geschlecht, sondern vielmehr mit der jeweiligen Persönlichkeit zu tun haben. Was ich bei anderen Unternehmen oder in der Branche aber schon feststelle: Wenn sich Frauen und Männer identisch verhalten, dann wird das Verhalten oft nicht gleich bewertet. Dort, wo einem Mann eher Durchsetzungsstärke oder Macher-Qualitäten zugeschrieben werden, wird das Verhalten einer Frau zuweilen als zickig bewertet. Und das Aussehen ist bei Frauen oft wichtig. Bei Männern dagegen kaum. Und als Frau darf man sich häufig weniger Blöße geben.
Welche Prinzipien sind Ihnen wichtig?
Brammer-Rahlfs: Ein wertschätzender und fairer Umgang miteinander – das halte ich für sehr wichtig. Ganz gleich, welche Position oder Funktion jemand innehat. Einer unserer Kernwerte im Unternehmen ist Fürsorge. Das versuchen wir zu leben. Dazu gehört der regelmäßige Austausch. Kommunikation ist elementar, innerhalb des Unternehmens ebenso wie nach außen mit unseren Kunden. Man erfährt immer mehr, wenn man miteinander spricht.
Sie sind als Vorständin auch für das Personal verantwortlich. Was ist in dieser Funktion für Sie von besonderer Bedeutung?
Brammer-Rahlfs: Führen hat auch etwas mit Dienen zu tun. Der chinesische Philosoph Laotse soll schon vor über 2.500 Jahren erkannt haben: „Wer Menschen führen will, muss hinter ihnen gehen.“ Das entspricht meinem Führungsbild. Meine Aufgabe im Bereich Personal ist, dass sich bei uns alle wohlfühlen und es im Miteinander eine möglichst stressfreie Arbeitsatmosphäre gibt. Dann können auch alle Mitarbeiter produktiv sein und gute Leistungen bringen.
Gibt es etwas, das Sie aufgrund Ihrer Position als Vorständin für Ihr Leben vermissen?
Brammer-Rahlfs: Für manches fehlt mir schlicht die Zeit. Das betrifft meine Familie ebenso wie ehrenamtliches Engagement, das ich früher im Vereins- oder Kirchenvorstand geleistet habe. Dabei ist mir das sehr wichtig. Jeder sollte sich doch fragen: Was kann ich für die Gemeinschaft tun?
Bieten sich durch die digitale Transformation, die durch die Corona-Pandemie noch einmal deutlich an Schwung gewonnen hat, womöglich auch mehr Chancen für Frauen?
Brammer-Rahlfs: Davon bin ich überzeugt. Corona wird das Arbeitsleben von Frauen nachhaltig verändern. Viele Arbeiten lassen sich jetzt von zu Hause aus oder mobil erledigen – es bedarf keines langen Weges zur Arbeitsstelle. Das bringt besonders dann Vorteile mit sich, wenn eine Frau oder ein Mann Kind und Karriere verbinden möchte. Bei uns ist die Familie kein Hinderungsgrund für die Karriere und damit sind wir als Unternehmen sehr gut aufgestellt. Zudem hat die Digitalisierung auch bei uns neue Berufsfelder geschaffen. Auch das bedeutet für Frauen weitere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus diesem Krisen-Jahr für die Uelzener Versicherung?
Brammer-Rahlfs: Wir waren und sind auf dem Weg zu einem starken Direktversicherer. Früher lief das meiste Geschäft über Makler oder Versicherungsagenturen. Das hat sich durch die Digitalisierung gewandelt. Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir unsere potenziellen Kunden direkt ansprechen – und das heißt: im Netz. Seit gut einem Jahr gibt es bei der Uelzener ein Bestandsführungssystem auf neuester technologischer Basis sowie ein neues Prozess- und Organisationsmanagement. Dieser Change hat entscheidend dazu beigetragen den Kundenservice durch mobiles Arbeiten auch während der Corona-Krise sicherstellen zu können. Für unsere Mitarbeiter und für uns war das eine digitale Evolution im Schnelldurchlauf. In den nächsten Jahren werden wir unsere digitalen Angebote noch erweitern. Der digitale Transformationsprozess führt aber zugleich zu einer Ausweitung unserer Beratungstätigkeiten: die persönliche Beratung am Telefon durch unsere Mitarbeiter wird immer wichtiger. Und das ist genau die Stärke unseres überwiegend weiblich besetzten Service Centers.
1 Dies belegt auch eine in Finnland erstellte Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass Unternehmen mit einer geschlechtermäßig ausgewogenen Unternehmensführung im Schnitt 10 % mehr Gewinn erzielen als Unternehmen mit einer ausschließlich männlichen Unternehmensführung (Quelle: „Mehr Frauen in Führungspositionen – der Schlüssel zu wirtschaftlicher Stabilität und Wachstum“, Studie der Europäischen Kommission, 2010)
* Zur besseren Lesbarkeit wird das generische Maskulinum benutzt, das heißt, wenn von Mitarbeitern die Rede ist, sind damit sowohl weibliche als auch männliche Mitarbeiter und Diverse gemeint.