Die Arbeit an der Hand hat den großen Vorteil, dass Du Deinem (jungen) Pferd die Zügelhilfen ohne Reitergewicht zunächst einmal erklären kannst. So kann sich die Remonte ganz in Ruhe und ohne sich auf den Menschen auf seinem Rücken konzentrieren zu müssen an das Gebiss gewöhnen. Weiter beinhaltet die Arbeit an der Hand auch für das weiter fortgeschrittene Pferd einige Vorteile. So verbessert sie die Kommunikation zwischen Mensch und Pferd und der Reiter kann von unten – auch wenn etwas einmal nicht klappen mag – aus einer anderen Perspektive die Thematik betrachten, bearbeiten und quasi die Lösung „mit in den Sattel nehmen“. Auch Ponys die aufgrund ihrer Körpergröße nicht von einem weiter ausgebildeten Reiter geritten werden können, sowie rekonvaleszenten oder älteren Pferden bietet die Arbeit an der Hand Abwechslung und eine sinnvolle Gymnastizierungsmöglichkeit. Zudem lassen sich anspruchsvolle Lektionen, wie beispielsweise die Piaffe – eine gute Vorbereitung vorausgesetzt – wunderbar vom Boden aus erarbeiten.
Bevor Du mit der Arbeit an der Hand beginnst, sollte eine gewisse Grundkommunikation vorhanden sein. Dein Pferd sollte grundsätzlich natürlich schon an das Gebiss gewöhnt sein, sich von beiden Händen sicher führen lassen und dabei auf eine feine Körpersprache Deinerseits hin anhalten und antreten oder sich rückwärtsrichten lassen. Es hat bereits gelernt auf ein Zeigen oder leichtes(!) Anlegen der Gerte hin dieser zu weichen. Auch geführte Tempounterschiede Schritt – Trab – Schritt oder Halt – Trab – Halt sollten abrufbar sein.
Zur Ausrüstung empfiehlt sich ein einfach-gebrochenes Trensengebiss, die sogenannte Schenkel- oder Knebeltrense gewährt hier durch ihre seitlich angebrachten Stege eine sehr gute beidseitige Begrenzung, die das Gebiss ruhig im Pferdemaul platziert. Weiter solltest Du auf festes Schuhwerk, eine eng anliegende Kleidung und Handschuhe achten. Eine Touchiergerte, je nach Pferdegröße mit einer Länge von 1,50 bis 1,70 Meter, die nicht zu schwer in der Hand liegt und zu Beginn auch nicht zu viel Eigenbewegung hat, lässt Dich die Hinterhand mühelos erreichen.
Halte Dein Pferd nun zunächst einmal am Hufschlag an und positioniere Dich zu Beginn ungefähr auf Höhe des Pferdekopfes im 90-Grad-Winkel gegen die Bewegungsrichtung des Pferdes. Achte auf genügend seitlichen Abstand zu diesem. Befindest Du Dich auf der linken Hand, so greife mit dieser den Zügel direkt vor dem Trensenring. Du kannst mit dem Zeigefinger den Trensenring noch zusätzlich umfassen. Der äußere Zügel kommt kurz vor dem Widerrist über dem Hals des Pferdes zum Liegen und wird gemeinsam mit der Touchiergerte (wobei die Gertenspitze nach hinten zeigt) in die rechte Hand gelegt. Im Halten wird die Gertenspitze nahe dem Pferd auf dem Boden abgelegt. Zum Angehen drehe Dich um und führe Deine rechte Hand und die Touchiergerte, mit Abstand und parallel zum Pferd, ungefähr auf Höhe seines Kniegelenkes. Lege die Gerte nun leicht an das Pferd an, gib gegebenenfalls ein Stimmsignal und achte darauf, nicht in Versuchung zu geraten, das Pferd durch ein Vornehmen Deinerlinken Hand zum Angehen bewegen zu wollen. Denke an eine klare Linienführung zunächst am Hufschlag und auf eine gleichmäßige Schrittlänge. Wird Dein Pferd zu eilig, halte an. Führe lieber fünf Schritte schön, als viele Schritte irgendwie! Der äußere Zügel bestimmt, wie beim Reiten, den Grad der seitlichen Abstellung. Die innere Hand (in unserem Fall die Linke) befindet sich ungefähr auf der Maulhöhe des Pferdes, gerät es in der Kopf-Hals-Positionierung zu tief oder zu hoch, wirke dem Maulwinkel folgend sanft gleichmäßig nach oben ein, um es wieder korrekt zu positionieren. Eine kleine Vibration, ebenfalls dem Maulwinkel nach oben folgend, kann verbremsende Wirkung haben, sollte Dein Pferd einmal zu schnell werden. Zum Anhalten verlangsame Deine Schritte etwas, atme tief ein und aus, drehe dich gegen die Bewegungsrichtung und schließe beide Hände etwas und gib gegebenenfalls noch ein Stimmkommando „Haaaaalt!“ Übe zunächst auf beiden Händen ein sicheres Angehen und Anhalten. Hiernach sind Deiner Kreativität keine Grenzen gesetzt: Du kannst verschiedene Hufschlagfiguren oder Schritt-Trab-Schritt-Übergänge führen, Rückwärtsrichten oder Seitengänge mit hinzunehmen. In jedem Fall solltest Du schon von Beginn an einen versierten Ausbilder um Hilfestellung bitten, damit sich bei Dir und Deinem Pferd keine fehlerhaften Bewegungsmuster manifestieren. Anfangs gestaltet sich die Arbeit an der Hand gerade für den Menschen koordinativ als durchaus anspruchsvoll. Du wirst jedoch sehen, dass sich dieses Gefühl mit ein wenig Routine auflöst und diese Form der Beschäftigung Pferd und Mensch viel Freude bereiten kann!
Viel Freude bei den ersten Schritten an der Hand wünscht Dir
Deine Nicole Künzel
Nicole Künzel bildet Mensch und Pferd in der klassischen Reitkunst aus. Freude, Leichtigkeit und Harmonie sowie eine positive Grundeinstellung sind Werte, die sie ihren Schülern vermitteln möchte. Neben der Pferdeausbildung ist das Schreiben ihre weitere Leidenschaft. Sie ist Autorin mehrerer Pferdefachbücher und gründete 2014 den evipo Verlag www.evipo-verlag.com. In Hannover etablierte sie ihr eigenes Ausbildungszentrum evipo www.evipo.de.