Umgang mit Angsthunden
Erziehung und Training

Umgang mit Angsthunden: Tipps für ein vertrauensvolles Miteinander

11.09.2024

Der Alltag mit einem Angsthund kann eine große Herausforderung sein. Oft reichen schon kleine, vermeintlich harmlose Reize aus, um Unsicherheit, Panik oder Aggression beim Tier auszulösen. Das ist nicht nur für den Hund, sondern auch für den Menschen mit Stress verbunden und kann die Lebensqualität aller Beteiligten erheblich beeinträchtigen. Nicht selten passiert es, dass normale Aktivitäten wie das tägliche Gassigehen in einen regelrechten Spießrutenlauf ausarten, da der Hund in permanenter Alarmbereitschaft ist und an jeder Ecke eine potenzielle Gefahr wittert. Am meisten leidet das Tier selbst unter der Situation, da es unter ständiger Anspannung steht und kaum zur Ruhe kommt.

Um einem Angsthund ein lebenswertes Leben zu ermöglichen, ist es wichtig, Vertrauen aufzubauen und ihm Sicherheit zu vermitteln. Dazu braucht es in erster Linie Einfühlungsvermögen, eine gute Beobachtungsgabe und viel Geduld. In unserem Artikel erklären wir, worauf beim Umgang mit Angsthunden zu achten ist, und geben nützliche Tipps für einen stressfreieren Alltag.

Was sind Angsthunde?

Dass Hunde in manchen Situationen ängstlich oder unsicher reagieren, ist erst einmal nichts Ungewöhnliches. Die Auslöser dafür können unterschiedlich sein. Manche Tiere erschrecken sich bei lauten Geräuschen durch Feuerwerk oder Gewitter, andere haben Probleme mit der Dunkelheit und wieder andere trauen sich nicht, Treppen zu steigen oder ins Wasser zu gehen. Im Regelfall ist es jedoch so, dass die Angst nachlässt, sobald der Auslöser nicht mehr präsent ist.

Bei Angsthunden verhält es sich etwas anders. Sie zeigen ein gesteigertes oder generalisiertes Angstverhalten. Das bedeutet, dass sich ihre Angst nicht auf bestimmte Auslöser beschränkt, sondern auf zahlreiche Situationen ausweitet. Ein möglicher Grund dafür sind Fehlverknüpfungen, was bedeutet, dass ein Hund in einer Angstsituation nicht nur den Auslöser, sondern auch die Umgebung oder periphere Gegebenheiten mit Gefahr assoziiert. Ein Beispiel: Hört das Tier beim Treppensteigen eine Tür laut zuschlagen und erschrickt sich, kann es sein, dass es künftig sowohl vor lauten Geräuschen als auch vor Treppen Angst hat. Das führt im weiteren Verlauf dazu, dass sich Angsthunde irgendwann vor allem Möglichen ängstigen, ständig auf der Hut sind und dauerhaft unter Stress stehen.

Dass sich Hunde zu Angsthunden entwickeln, kann vielerlei Gründe haben. Zu den häufigsten Ursachen zählen:

  • Mangelnde Sozialisierung im Welpenalter: zu wenig oder kein Kontakt zu Artgenossen und Menschen
  • Psychische Traumata, etwa durch frühe Trennung von Mutter und Wurf
  • Schlechte Erfahrungen mit Menschen durch grobe Erziehung mit Bestrafung oder Gewalt
  • Keine Kennenlern- und Erkundungsmöglichkeiten der Umwelt
  • Nicht artgerechte Haltung (reizarme oder reizüberflutende Umgebung)
  • Erlerntes Verhalten von der Mutter
  • Gesundheitliche Beschwerden, Schmerzen
  • Nachlassendes Seh- und Hörvermögen im Alter
  • Genetische Anlagen
  • Permanente Überforderung

Besonders häufig von Angststörungen betroffen sind Hunde, die in den ersten Lebensmonaten und -jahren, also der entscheidenden Zeit ihrer Prägung, vernachlässigt wurden oder unter widrigen Bedingungen leben mussten und infolgedessen traumatisiert sind. Es wundert daher nicht, dass gerade Tierschutzhunde, die beispielsweise aufgrund nicht artgerechter Haltung beschlagnahmt, von der Straße oder aus Tötungsstationen gerettet wurden, sehr oft unter Angststörungen leiden.

Angst beim Hund erkennen

Voraussetzung für den richtigen Umgang mit einem Angsthund ist es, seine Körpersprache und Verhaltensweisen zu kennen, richtig zu deuten und genau zu beobachten, um herauszufinden, wann der Vierbeiner Stress hat und in welchen Situationen er sich ängstigt. Nur so ist es möglich, ihm im entscheidenden Moment Sicherheit und Orientierung zu geben.

Es gibt körperliche Signale und Verhaltensmuster, die relativ eindeutig auf Angst und Unsicherheit hinweisen, jedoch von Tier zu Tier mal stärker und mal schwächer ausgeprägt sein können.

Typische Anzeichen für Angst sind:

  • Eingezogene Rute
  • Angelegte Ohren
  • Geweitete Augen
  • Vergrößerte Pupillen
  • Vermeidung von Blickkontakt
  • Geduckte Haltung mit rundem Rücken
  • Eingeknickte Beine
  • Hecheln und Schwitzen
  • Zittern
  • Winseln
  • Schuppiges Fell („Stressschuppen“), Haarverlust
  • Vermehrtes Trinken und Fressen, in der Folge vermehrter Harn- und Kotabsatz
  • Unruhe, nervöses Umherlaufen
  • Erhöhte Aufmerksamkeit
  • Belecken oder Benagen von Körperstellen
  • Beschwichtigungssignale (Gähnen, Kleinmachen)
  • Übersprungshandlungen, bspw. Toben, im Kreis drehen, Aufreiten

Nicht jeder Hund zeigt seine Angst. Es gibt auch Tiere, die im Stillen leiden und sich ihren Stress und ihre Unsicherheit kaum anmerken lassen. In solchen Fällen ist es umso wichtiger, seinen Hund zu kennen, um einschätzen zu können, wenn die Situation kritisch wird.

Die „4 Fs“: Wie Hunde auf Angst reagieren

Wie Hunde auf Angst reagieren, ist individuell unterschiedlich. Manche gehen direkt in den Angriff über, während bei anderen der Fluchtinstinkt geweckt wird. Die sogenannten „4 Fs“ kategorisieren vier mögliche Arten von Verhaltensweisen:

  • Flight (Flucht): Der Hund versucht, der Situation zu entkommen, indem er zurückweicht oder davonläuft. Sollte das nicht möglich sein, etwa weil er angeleint ist, kann es sein, dass er eine andere Methode wählt.
  • Fight (Angriff): Der Hund geht in den Angriffsmodus über, indem er knurrt, bellt, schnappt oder beißt. Damit versucht er, die Distanz zur Gefahr zu vergrößern und sich zu verteidigen.
  • Freeze (Erstarren): Der Hund bewegt sich nicht mehr von der Stelle und wirkt wie eingefroren. Das Erstarren ähnelt dem Totstellen bei Flucht- und Beutetieren wie Kaninchen. Vermutlich dient es dazu, die Situation auszuhalten, bis sie vorübergeht.
  • Fiddle (Herumspielen): Der Hund zeigt Übersprungshandlungen wie ein überdrehtes Spielverhalten oder Herumalbern. Damit versucht er, seinen inneren Konflikt zu bewältigen und mit der Situation zurechtzukommen.

Welches Verhalten ein Angsthund zeigt, hängt unter anderem von seinem Naturell, seinen situativen Möglichkeiten und davon ab, welche Strategie sich in der Vergangenheit als effektiv erwiesen hat. Hat ein Hund beispielsweise Angst vor fremden Menschen und die Erfahrung gemacht, dass sie weggehen, wenn er sich aggressiv zeigt, ist es wahrscheinlich, dass er den Fight-Modus als wirksam abspeichert und zukünftig abruft.

Mit Angsthunden richtig umgehen: Verhaltenstipps für den Alltag

Beim Umgang mit einem Angsthund sind Empathie, Aufmerksamkeit und Geduld gefragt. In erster Linie geht es darum, Vertrauen zu dem Tier aufzubauen, die Bindung zu stärken und ihm in jeder Situation Orientierung und Sicherheit zu geben. Der Hund soll lernen, Angstsituationen zu bewältigen, um so stressfrei wie möglich leben zu können. Das kann er nur, wenn er Hilfestellung bekommt und begreift, dass er sich immer auf seinen Menschen verlassen kann.

  • Routinen etablieren: Routinen und ein strukturierter Alltag sind enorm hilfreich, um einem Angsthund Sicherheit zu vermitteln. Das Tier weiß genau, was als nächstes kommt, und kann sich darauf einstellen. Empfehlenswert sind feste Ruhe- und Aktivitätszeiten, aber auch kleine Rituale, beispielsweise ein Leckerli vor dem Zubettgehen oder eine Pause während der Gassirunde stets an derselben Stelle.
  • Rückzugsort schaffen: Hunde haben ein ausgeprägtes Schlafbedürfnis und sollten etwa 15 bis 20 Stunden am Tag ruhen. Schlafmangel kann zu Gereiztheit und Nervosität führen, was bei Angsthunden, die ohnehin permanent angespannt sind, unbedingt vermieden werden sollte. Ein sicheres Plätzchen, an das sich das Tier zurückziehen kann, wenn ihm das Geschehen zu viel wird, ist daher sehr wichtig. Das kann beispielsweise ein weiches Körbchen in einer geschützten Ecke oder eine gemütlich ausgestattete Box sein.
  • Soziale Interaktion: Zuwendung ist entscheidend, um für das Tier zu einer Bezugsperson zu werden. Als soziale Wesen brauchen Hunde Kontakt zu ihrem Menschen, deswegen nehmen Interaktion und gemeinsame Aktivitäten einen großen Stellenwert ein. Kuscheln, Spielen, Toben – all das legt den Grundstein für eine vertrauensvolle Beziehung und sollte im Alltag nicht zu kurz kommen. Dabei gilt es, die Grenzen des Hundes zu respektieren, sich nicht aufzudrängen und ihm den Raum zu geben, den er braucht.
  • Körperliche und geistige Auslastung: Ausreichend Bewegung und regelmäßige Aufenthalte im Freien sind das A und O einer artgerechten Haltung. Zudem ermöglichen sie es Angsthunden, ihre Umgebung zu erkunden, sich auszutoben und Stress abzubauen. Ähnlich verhält es sich mit geistiger Auslastung, etwa in Form von Schnüffel-, Such- oder Apportierspielen.
  • Motivieren und Selbstbewusstsein stärken: Lob, Zuspruch und Bestätigung tragen dazu bei, einen Angsthund zu motivieren und ihm beizubringen, kritische Situationen zu überstehen. Es ist wichtig, auch kleine Erfolge zu feiern und den Hund angemessen dafür zu belohnen. So entwickelt er Selbstvertrauen und gewinnt mehr Sicherheit. Schimpfen und Bestrafen sind dagegen tabu, denn dadurch wird der Hund noch unsicherer.
  • Hektik vermeiden: Der Alltag mit einem Angsthund kann mitunter nervenzehrend sein und schnell passiert es, dass sich der Stress des Tiers auf den Menschen überträgt. In solchen Situationen ist es von großer Bedeutung, gelassen zu bleiben und nicht in Hektik zu verfallen. Fehlt es dem Halter oder der Halterin im entscheidenden Moment an Souveränität, um den Hund ruhig aus der Situation herauszuholen, kann sich das negativ auf die Beziehung auswirken und beim Tier noch mehr Angst verursachen.
  • Auslöser erkennen, vorausschauend handeln: Oft gibt es Auslöser, auf die Hunde mit Angststörung besonders heftig reagieren. Halter und Halterinnen sollten solche Angstquellen kennen, damit sie frühzeitig Gegenmaßnahmen einleiten und die Reaktion ihres Hundes abwenden können. Einen Hund direkt mit seiner Angstquelle zu konfrontieren, kann Panik auslösen. Besser ist es, den Auslöser zu ignorieren, den Hund mit Bestimmtheit daran vorbeizuführen und ihm dabei Schutz zu bieten.
  • Hund und Umgebung absichern: Ein Hund, der in Angstsituationen zur Fluchtreaktion neigt, kann für sich und andere zur Gefahr werden, beispielsweise wenn er sich erschrickt und auf eine befahrene Straße läuft. Umso wichtiger ist es, das Tier bei Aufenthalten im Freien anzuleinen. Das kann in der Natur auch eine Schleppleine sein, die dem Tier mehr Bewegungsfreiraum bietet. Haus und Garten müssen ebenfalls ausbruchsicher gestaltet sein. Sollte es doch einmal passieren, dass der Hund ausbüxt und davonläuft, erweist sich ein GPS-Tracker am Halsband oder Geschirr als praktisch. Darüber kann der Vierbeiner geortet und wieder eingesammelt werden.
  • Auszeiten nehmen: Das Leben mit einem Angsthund ist zwangsläufig mit Anstrengungen verbunden. Deswegen ist es wichtig, auch eigene Grenzen zu erkennen und sich eine Auszeit zu nehmen, wenn man für den Alltag keine Energie mehr hat. Ein Ausflug in die Natur oder ein verlängertes Wochenende an einem abgeschiedenen Ort kann Tier und Mensch dabei helfen, die Akkus wieder aufzuladen, sich neu zu erleben und noch stärker zusammenzuwachsen.

Beim Umgang mit Angsthunden sind Geduld und Durchhaltevermögen gefragt. Es kann lange dauern, bis Fortschritte sichtbar werden, und häufig kommt es zu Rückschlägen, die Mensch und Tier gleichermaßen frustrieren. Entscheidend ist, weder sich selbst noch den Hund in Frage zu stellen, sondern mit Liebe und Konsequenz dranzubleiben, denn jeder Schritt verhilft dem Tier letztlich zu mehr Lebensqualität und Lebensfreude.

Fazit

Die Reise mit einem Angsthund kann emotional und herausfordernd sein. Oft haben die Tiere eine Vergangenheit hinter sich, die von Unsicherheit und Schmerz geprägt ist. Ihnen dabei zu helfen, sich in ihrer Umgebung wohl und sicher zu fühlen, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, die nur mit viel Geduld, Verständnis und Empathie zu bewältigen ist. Doch jeder noch so kleine Schritt zählt. Am Ende des Weges steht die Freude, einen treuen Begleiter an seiner Seite zu haben, der trotz seiner Ängste den Mut gefunden hat, Vertrauen zu fassen und die Welt mit neuen Augen zu sehen – ein Geschenk, das alle Mühen wert ist.

FAQ: Häufig gestellte Fragen zum Umgang mit Angsthunden

Sollte ich meinen Angsthund bei Stress beruhigen oder ignorieren?

Es ist wichtig, den Hund nicht für seine Angst zu bestrafen oder zu ignorieren, sondern ihn zu beruhigen und ihm Sicherheit zu geben. Bis heute hält sich hartnäckig die Annahme, dass Zuwendung die Angst des Hundes verstärken würde. Das stimmt so nicht. Der Mensch sollte seinem Tier ein sicherer Hafen sein, es mit seiner Angst wahrnehmen und ihm dabei helfen, die Situation zu meistern.

Wie lange dauert es, bis ein Angsthund Fortschritte zeigt?

Das hängt von der individuellen Geschichte des Hundes und dem Schweregrad der Angststörung ab. Manche Tiere machen schon nach wenigen Wochen Fortschritte, bei anderen kann es viele Monate und Jahre dauern. Es gibt auch Hunde, die ihre Angst nie ganz überwinden. Trotzdem gewinnen sie erheblich an Lebensqualität, wenn sie einen Menschen haben, an den sie sich binden und dem sie vertrauen können.

Sollte ich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen?

Sollte man an seine Grenzen geraten oder nicht weiter wissen, wenn Erfolge trotz intensiver Bemühungen ausbleiben, kann es durchaus sinnvoll sein, einen professionellen Hundetrainer oder eine professionelle Verhaltensspezialistin einzubeziehen. Oft haben Expertinnen und Experten einen objektiven Blick auf die Situation und können wertvolle Hilfestellung geben.

Kann ein älterer Hund mit Angstproblemen noch lernen, seine Ängste zu überwinden?

Ja, auch ältere Hunde können lernen, mit ihren Ängsten umzugehen. Geduld und Konsequenz sind der Schlüssel.

Sind Medikamente eine Option für Angsthunde?

In speziellen Fällen können Medikamente vom Tierarzt oder der Tierärztin verschrieben werden, um die Angst beim Hund zu lindern und das Verhaltenstraining zu unterstützen. Diese sollten jedoch nur als Teil eines umfassenden Behandlungsplans eingesetzt werden. Eine Hundekrankenversicherung übernimmt die Kosten für veterinärmedizinische Leistungen und bietet in solchen Fällen finanziellen Schutz.

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