Heutzutage ist der Hund nicht mehr nur ein Nutztier, sondern auch ein Haustier.
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Der Hund: Vom Nutztier zum Haustier

02.05.2023

Wer heute einen einsamen Hund auf der Straße, im Park oder im Wald antrifft, der wird sich unmittelbar nach dessen Herrchen oder Frauchen umschauen. Zu wem gehörst du? wird man sich fragen, denn ein Hund ohne zugehörigen Menschen ist – zumindest im Deutschland des 21. Jahrhunderts – eine Seltenheit. Hunde sind zum Partnertier par excellence geworden. Wie so vielen heutigen Haustieren ist ihnen damit der Sprung vom Nutztier zum Heimtier, in diesem Fall vom Zwinger ins Wohnzimmer, gelungen. Doch wie kam es zu dieser bemerkenswerten Karriere?

Die Geschichte des Heimtier-Hundes beginnt mit der Domestizierung des Wolfes. Wann genau, darüber streiten sich die Archäologen, doch ob der Wolf sich nun vor 10.000 oder 100.000 Jahren dem prähistorischen Menschen anschloss – von einer langen gemeinsamen Beziehung ist auszugehen. Als Beschützer vor Raubtieren und auch als Lieferant von Fleisch und Fellen war er von unbestrittenem Nutzen für den Menschen, doch Ausgrabungen geben auch Hinweise auf eine emotionale Wertschätzung. So wurde in Deutschland ein steinzeitliches Paar gefunden, das mit ihren zwei Wölfen, beziehungsweise Hunden, begraben wurde. Auch in jahrtausendealten Texten, wie zum Beispiel des Griechen Arrian, werden Hunde wie liebgewonnene Freunde beschrieben.

Enge, freundschaftliche Beziehungen zwischen Hund und Mensch sind über archäologische Funde, Urkunden, Gemälde und Texte seit der jüngsten Geschichte bekannt. Doch sie waren die Ausnahme, nicht die Regel, wie sie heute in westlich geprägten Nationen vorherrscht. Ein Beispiel für das Mensch-Tier-Verhältnis im 19. Jahrhundert ist eines der frühsten Tierschutzgesetze der Welt, der britische „Act to Prevent the Cruel and Improper Treatment of Cattle” von 1822. Er behandelt Pferde, Schafe und Großvieh, denn zu dieser Zeit waren vor allem Nutztiere von Interesse. Auch Hunde fielen in diese Kategorie: sie dienten zum Hüten von Vieh, dem Bewachen von Eigentum oder, wie im Berlin des 18. und 19. Jahrhunderts zum Ziehen von Karren.

Statussymbol der Reichen und Adligen

Doch auch wenn die meisten Tiere als Nutztiere gehalten wurden, einige wenige – und gerade Hunde – hatten das Glück, in Königshäusern aufzuwachsen. Adlige hielten zwar ebenfalls Hunde für die Jagd, doch die meisten Pelzohren in Palästen waren die ersten wirklichen Heimtiere: Sie wurden für Kurzweil, Spiel und Streicheeinheiten gehalten und avancierten zu umsorgten Familienmitgliedern. So machte nicht zuletzt die britische Königin Viktoria die Hundeliebe zur royalen Institution: 35 Spitze, 38 Möpse, 80 Terrier und 88 Collies bevölkerten den Buckingham Palace.

Am Hund und seiner Haltung ließ sich ein Klassenunterschied ausmachen, bildlich in Szene gesetzt von Heinrich Sperling (1844-1924) in seinem Ölgemälde „Bummler und Arbeiter“: Rechts die ausgemergelten Karrenhunde, links ein eingekleideter Mops nebst Windhund. Ob ein Hund ein Nutztier oder Heimtier war, entschied sich an Klasse und Reichtum. Seine Rolle, optisch unterstrichen durch seine Rasse, war ein Statussymbol der Elite, eine Abgrenzung nach unten.

Antikes BIld "Arbeiter und Bummler" von H. Sperling.

Tierische Mitbewohner für das städtische Proletariat

Die Karriere des Hundes zum zweitliebsten Heimtier der Deutschen (nach der Katze) nimmt in der Zeit der Industrialisierung Fahrt auf. Bauernfamilien und Landarbeiter strömen in Städte und bilden die neue Klasse der urbanen Arbeiter. Auf engstem Raum lebten aber nicht nur kleine Beamte, Handwerker, Tagelöhner und Industriearbeiter, sondern auch mitgebrachte Nutztiere. Die private Kleinnutztierhaltung machte Ziegen, Schweine, Enten, Hühner, Katzen und Hunde zu tierischen Mitbewohnern, die in kleinen Mietquartieren oder Hinterhöfen zur Selbstversorgung oder als Transport dienten.

In diesem Moment der urbanen Kleinnutztierhaltung liegt ein Meilenstein für den Weg zahlreicher Nutztiere zum Heimtier. Denn laut zeitgenössischer Texte begriffen die Menschen ihre Ziegen, Hühnerküken und Hunde nicht nur als Lebensmittellieferanten oder Transporthilfen, sondern integrierten sie vollumfänglich in ihren Alltag. Im engen Raum der Stadt wurde nahrhafter Nutzen und freundliche Partnerschaft kombiniert, wurde gleichermaßen gestreichelt und gegessen.

In den Reihen des städtischen sowie reichen Bürger- und Beamtentums wurde Heimtierhaltung ebenso en vogue, zunächst als Imitation der aristokratischen Klassen und damit einhergehend, als Statussymbol und Freizeitvertreib. Als solche waren besonders Rassehunde geeignet, die beim Spaziergang oder auf dem Familiengemälde posierend ein anschauliches Symbol des Überflusses waren.

Die Regierung als unerwartete Helferin des Heimtiers

Auf engstem Raum und ohne jede übergeordnete Kontrolle vermehrte sich in deutschen Städten besonders die freilaufende Hundepopulation rasant, und mit ihr die Tollwut, damals als „Hundswuth“ bekannt. Das Virus, das Louis Pasteur erst 1880 entdeckte und benannte, forderte zahlreiche tierische und menschliche Todesopfer in den Großstädten des 19. und 20. Jahrhunderts. Zur Eindämmung des Virus wurden daher von oberster Stelle die Hunde ins Visier genommen – vor allem die Promenadenmischung des Proletariats. Die Einführung der Hundesteuer sollte für ärmere Bevölkerungsschichten die Hundehaltung unmöglich machen. Hunde ohne eine Marke wurden eingesammelt und in manchen Städten wie Berlin bis zum Jahr 1951 versteigert.

Mit Einführung der Hundesteuer veränderte sich das Verhältnis zwischen Hund und Mensch weiter: Unbenannte Streuner verschwanden und übrig blieben Hunde, die durch eine Marke eine feste Identität sowie ein bestimmtes Herrchen oder Frauchen erhielten – schwarz auf weiß. War der Hund zuvor bereits durch seine Rolle ein deutliches Statussymbol, so wurde dies durch die Steuer umso deutlicher: Hundehaltung, auch als Nutztier, musste man sich leisten können. Dies bevorzugte einzelne Hunde gegenüber unüberschaubaren Gruppen, Rassehunde gegenüber Promenadenmischungen und Heimtierhaltung gegenüber Nutztierhaltung. Hunde konnten nicht mehr das Zugtier jedes armen Mannes sein.

Rassentheorie und konstruierte Urzustände

Neben der Hundesteuer verhalf ein Faktor dem Hund auf dem Weg in unsere Wohnzimmer, der zu den dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte, dem Nationalsozialismus, gehört. Die Rassentheorie, die angebliche Urzustände herstellt und Wert in einer „Reinrassigkeit“ sucht, wurde auf Hunde übertragen. Rassezucht wurde beim Adel wie auch dem Bürgertum beliebt, zunächst in Großbritannien, später auch in Deutschland. Die Idee der “Optimierung” wurde außerdem durch Wettbewerbe mit einem sportiven Ehrgeiz versehen.

Rassen wie der Deutsche Schäferhund wurden nach einem angeblichen, perfekten Urzustand konstruiert. Da nur wenige Tiere diese Anforderung trafen, stammen die meisten heutigen Schäferhunde von knapp 20 Ahnen ab. Doch der klar zuzuweisende, auf ein Ideal hinstrebende und dadurch erst wertvolle Rassehund passte trotz schwächerer Gesundheit besser zur Idee eines Statussymbols als die Promenadenmischung. Sie erhielten verbriefte Ahnentafeln und zeigten als Accessoires das Modebewusstsein ihrer Leinenträger.

Magazine und Ratgeber machen Schule

Im Fahrwasser der immer beliebter werdenden Hunde-Heimtierhaltung und -Züchtung wurden Tiervereine und Ratgeber-Magazine groß. Neben dem Austausch mit anderen Hundehaltern ist dafür ein Umstand verantwortlich, der den Hund zu einem ganz besonderen Heimtier macht: Spätestens beim Gassigehen wird er Teil des öffentlichen Lebens und muss, wie kein anderes Haustier, die Regeln der Etikette beachten ­oder zumindest davon abgehalten werden, sie zu missachten. Beleg dafür sind die verschiedenen Leinen- und Maulkorb-Gebote, die nur für Hunde, nicht aber für die sehr viel erfolgreicher jagende Katze gelten.

Magazine, die Tipps zur Dressur verschiedenster Tiere gaben, waren schon im 19. Jahrhundert beliebt, doch vor allem die Hunde-Magazine erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit. Mit den Ratgebern, Schulen und Vereinen wurde die Diskussion über den Hund öffentlich und die Gemeinschaft der Hundehalter verständigte sich auf allgemeingültige Regeln – unterstützt von einer aufkeimenden Wissenschaft zum Hund. Was sollte ein Hund fressen? Wie sollte er trainiert, gezüchtet, geführt werden? Der rege Austausch normalisierte die Hundehaltung nicht nur, er standardisierte ihn auch.

Das perfekte Partnertier

Gesellschaftliche Umbrüche, Steuern, Vorstellungen von Reinrassigkeit, enge Mietsquartiere und Statusgedanken können dennoch nicht allein erklären, warum ausgerechnet der Hund eine so gesonderte Rolle in unserer Alltags-Gesellschaft und kulturellen Vorstellung einnimmt. Schlüsselfaktor ist der Hund selbst, und zwar einerseits was ihn mit seinen wölfischen Vorfahren verbindet und andererseits, was ihn abgrenzt. Wölfe sind Rudeltiere mit komplexen Hierarchien und sozialen Strukturen, und Hunde nutzen dieses Erbe, wenn sie sich erfolgreich in eine Familie integrieren und als Partner mit uns durch Leben gehen. Hunde sollten nicht nur trainiert werden, sie scheinen dafür aus diesem Grund auch besonders gut geeignet zu sein. Das Achten auf “Rudelmitglieder”, das Identifizieren von Körpersprache und die Kooperation liegen ihnen im Blut.

In den letzten Jahren verstehen Menschen immer besser, was Hunde von Wölfen abgrenzt. Grund dafür ist ein unbewusster Züchtungsprozess, der seit der ersten Domestizierung des Wolfes bis heute anhält. Durch die Auswahl der zahmeren und auch putzigeren Tiere ist der Hund eine weniger aggressive, dem Menschen zugewandte und freundliche Version des Wolfes geworden. Der Hund hat also nicht nur die Kulturgeschichte des Menschen geprägt, sondern auch der Mensch den Hund, und das auf einer biochemischen Ebene. Neue Studien haben herausgefunden, dass Hunde und Menschen Oxytocin, das sogenannte Liebes- und Kuschelhormon, ausschütten, wenn sie ihr Haustier bzw. ihr Herrchen oder Frauchen ansehen. Ein solches Hormonfeedback bei Augenkontakt besteht sonst nur bei menschlichen Liebespaaren oder Familienmitgliedern. Hier aber überspringt das Feedback die biologische Grenze zwischen zwei Spezies.

Neben einer geschichtlichen und kulturellen Geschichte ist die Karriere des Hundes also vor allem eine soziale und emotionale. Hundebesitzer:innen werden es bestätigen: Hunde können uns um den Finger wickeln und das wissen sie auch. Die große wirtschaftliche Macht des Haustiersektors, zu dem Coaches, Diäten, Osteopathen, Tierversicherungen und Petfluencer gehören, belegt ebenfalls, wie nah Hunde uns geworden sind. Sie haben es nicht nur in unsere Wohnung und auf unsere Sofas geschafft, sondern in unsere Herzen.

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