Als Hundehalter:innen dürfen wir unsere vierbeinigen Lieblinge durch alle Höhen und Tiefen ihres Lebens begleiten – dazu zählt auch irgendwann der schwere Abschied. In der Regel empfinden Herrchen und Frauchen es als Segen, die Option zu haben, ihr Tier im Falle terminaler Krankheit und großen Leidens „erlösen“ zu können. Schließlich wünschen sich die meisten am Ende in erster Linie eines: Ihrem Hund unnötigen Schmerz zu ersparen und ihm ein möglichst liebevolles Lebensende zu ermöglichen.
Dennoch erlebe ich in meiner Arbeit als Trauerbegleiterin regelmäßig, dass viele Klient:innen im Anschluss an die Einschläferung mit schweren Gewissensbissen kämpfen, die sie zusätzlich zur Trauer um den geliebten Vierbeiner belasten. In den folgenden Abschnitten möchte ich daher einige Anregungen zum einfühlsamen Umgang mit diesen Schuldgefühlen zusammenfassen, in der Hoffnung, dass sie Betroffenen in dieser schwierigen Situation eine kleine Stütze sein können.
Wie und warum zeigen sich Schuldgefühle nach der Einschläferung?
Gleich vorab: Gewissensbisse nach der Euthanasie eines Haustieres sind eine häufige Reaktion und treten auch dann auf, wenn die Entscheidung wohl überlegt und begründet erfolgt ist. Auf körperlicher Ebene können sie sich als Spannungsgefühle im Bereich von Schulter, Brust und Bauch, Druckempfindungen im Kopf- und Halsbereich sowie als allgemeines Hitze- und Unruhegefühl äußern . In den meisten Fällen zeigen sich Schuldgefühle jedoch nicht physisch, sondern als kreisende Gedanken in Form von Vorwürfen und Fragen: Warum habe ich die Symptome nicht viel früher erkannt? Habe ich meinen Hund zu lange Leiden lassen? Hätte ich meinen Liebling einen natürlichen Tod sterben lassen sollen? Habe ich ihm zu viel Lebenszeit genommen?
So unangenehm diese Gedanken sind, in einem gewissen Ausmaß gehören sie zum gesunden Trauerprozess dazu. Unsere Psyche möchte um jeden Preis eine Lektion aus dem schmerzhaften Erlebnis zu ziehen, mit der wir uns vor zukünftigem Leid dieser Art schützen können. Eine reine Verdrängung der Schuldgefühle kann den Trauerprozess erschweren, weshalb es ratsam ist, diesen quälenden Gedanken Raum zu geben. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass es nicht auf die endgültige Klärung der Fragen und Vorwürfe ankommt; dies ist in den meisten Fällen gar nicht möglich. Vielmehr geht es um das Zulassen und das Annehmen der Gefühle, die sie mit sich bringen. Bei den folgenden Fragen handelt es sich um eine Auswahl der „Klassiker“, die in der Tier-Trauerbegleitung häufig thematisiert werden.
Den schweren Fragen Raum geben – Impulse zur Reflektion über die Sterbehilfe beim Hund
Hätte ich meinen Hund einen natürlichen Tod sterben lassen sollen ?
Hunde werden aufgrund unserer sorgsamen Pflege und medizinischer Versorgungsmöglichkeiten im Durchschnitt älter als ihre wildlebenden Verwandten. Sie leiden im späteren Verlauf ihres Lebens häufig an chronischen Krankheiten und durchleben einen natürlichen Abbauprozess, der gegen Ende mit großen Einschränkungen und Schmerzen verbunden sein kann. In dieser Situation entscheiden sich viele Herrchen und Frauchen schließlich für eine Erlösung aus diesem Zustand, nur um dann im Nachhinein zu zweifeln, ob sie mit diesem bewussten Eingriff in den Sterbeprozess womöglich einen Fehler begangen haben.
Wenn wir den schweren Abschied von unserem Tier mit all den verbundenen Strapazen unmittelbar hinter uns haben, ist es verlockend, einen alternativen Zustand zu idealisieren, in dem Mutter Natur den Tod artgerecht und friedlich herbeiführt und nicht wir die Verantwortung für diesen schweren Schritt tragen müssen. Die Realität eines natürlichen Todes für Haustiere bedeutet in vielen Fällen jedoch wenig Frieden, sondern eine Verlängerung der Krankheits- oder Abbauphase. Wölfe, die nächsten Verwandten unserer Hunde in freier Wildbahn, durchleiden zwar eher selten diese kräftezehrenden Degenerationsprozesse, finden ihr natürliches Ende dafür umso häufiger durch Krankheiten oder Verletzungen, bevor sie das Seniorenalter erreichen.
Solltest du dich mit Vorwürfen quälen, dass du deinem Tier einen natürlichen Tod verwehrt haben, lohnt sich die Frage, wie die Alternative zur Einschläferung tatsächlich ausgesehen hätte. Was hätte sich für deinen Hund konkret verbessert, wenn du dem Abbauprozess seinen natürlichen Lauf gelassen hättest? Viele Tierhalter:innen stellen an dieser Stelle in der Trauerbegleitung fest, dass sie gar nicht so sehr mit den Umständen des Todes hadern, sondern mit dem Verlustes an sich und dem damit verbundenen Schmerz. Genau bei diesem Schmerz handelt es sich jedoch um den unvermeidlichen Begleiter jedes endgültigen Abschieds, egal ob dieser von der Natur oder durch unsere bewusste Entscheidung herbeigeführt wurde.
Habe ich meinen Hund zu früh einschläfern lassen?
Andere Hundebesitzer:innen quälen sich im Nachgang mit Vorwürfen, dass sie ihren treuen Gefährten zu früh „aufgegeben“ haben. Dieser Eindruck entsteht insbesondere dann, wenn sich der Hund am Tag des Einschläferungs-Termins scheinbar aufgerappelt hat und wieder aktiver wirkte als vorher. Wäre also doch noch mehr Lebenszeit drin gewesen?
Möglicherweise. Meist handelt es sich bei diesen Verbesserungserscheinungen jedoch um kurzfristige Phänomene, um das natürliche Auf- und Ab eines ansonsten unabwendbaren Krankheits- oder Alterungsprozesses. Hinzu kommt, dass unsere Hunde sehr feinfühlig auf unsere Stimmung reagieren und gerne noch einmal letzte Energiereserven mobilisieren, wenn sie unsere Nervosität und Angespanntheit aufgrund des bevorstehenden Termins spüren. Überlege, wie viel Zeit du realistisch noch hättest herausschlagen können.
Hätte diese (wahrscheinlich kurze) Zeitspanne einen wesentlichen Unterschied für die Lebensgeschichte ihres Vierbeiners gemacht und zu welchem Preis?
Dass der Abschied von unserem Hund unabhängig von den Umständen des Todes immerzu früh erscheint, hat auch damit zu tun, dass wir uns im Alltag selten vor Augen halten, wie weit unser Tier bereits auf seinem Lebensweg vorangeschritten ist. Denn glücklicherweise merkt man unseren Vierbeinern ihr Alter lange nicht an, was einerseits erfreulich ist, den Verlust der Kräfte gegen Ende ihres Lebens jedoch umso drastischer wirken lässt. Führen wir uns dagegen das Hundealter unseres Gefährten vor Augen, können wir Dankbarkeit für die gemeinsam verbrachte Zeit entwickeln, auch wenn nicht jeder Hund das Alter eines vierbeinigen Methusalem erreicht.
Habe ich meinen Hund zu lange leiden lassen?
Die meisten Tierärzt:innen würden wahrscheinlich bestätigen, dass Hundebesitzer:innen ihr Tier tendenziell eher zu spät als zu früh erlösen. In manchen Fällen ist die Sachlage leider eindeutig: Das Tier leidet bereits unter starken Schmerzen und es besteht keine Hoffnung mehr auf Heilung, doch Herrchen/Frauchen bringt die schwere Entscheidung nicht über Herz. Auch wenn dies sicher kein wünschenswertes Szenario für das Tier ist: es ist aus menschlicher Perspektive zu verstehen. Genau dies sind die Momente, in denen Gewissensbisse ihren Sinn erfüllen können: uns und unseren Mitmenschen und Tieren zukünftiges Leid zu ersparen, indem wir aus der schwierigen Situation eine Lehre ziehen.
Für die Mehrzahl der Fälle gilt, dass der ideale Zeitpunkt für die Einschläferung schlicht und einfach nicht erkennbar war. Nachdem sie den gesamten Verlauf rückblickend betrachten können, erschient vielen Hundehalter:innen sonnenklar, ab welchem Moment sich der Gesundheitszustand des Tieres eigentlich nur noch verschlechtert hat. Ebenso meinen sie sich im Nachhinein zu erinnern, wie klar sich bestimmte Symptome schon früh gezeigt haben, die sie damals nicht erkannten.
Dabei muss unbedingt beachtet werden, dass wir beim urteilenden Blick in die Vergangenheit eine umfassendere Perspektive und viel mehr Informationen zur Verfügung haben als in der damaligen Situation. Erst in der Rückschau lassen sich beispielsweise schleichende Abbauprozesse als solche erkennen, eine schrittweise Verschlechterung von Tag zu Tag ist dagegen schwer festzustellen. Versuche möglichst gnädig auf das aus heutiger Sicht unperfekte Handeln deines Vergangenheits-Ichs zu blicken. Du hast alles getan, was zum damaligen Zeitpunkt in deiner Macht stand.
Konnte ich meinem Hund einen schönen Abschied ermöglichen ?
Selbstverständlich wünscht sich jede/r Hundebesitzer:in, die letzten Momente mit seinem Gefährten so stressfrei und liebevoll wie möglich gestalten zu können. Da viele Tierärzt:innen anbieten, die Euthanasie zuhause im vertrauten Umfeld des Hundes durchzuführen, ist dieser Wunsch in vielen Fällen realisierbar. Manchmal geht es jedoch auf einmal schnell und die Familie oder der /die Tierärzt:in sind nicht erreichbar. Plötzlich sitzt man doch am Ende aufgelöst mit seinem Tier in einem kalt ausgeleuchteten Praxisraum und nichts ist so, wie man es sich vorgestellt hat. Was also tun, wenn man sich schuldig fühlt, seinem Haustier keinen schönen Abschied ermöglicht zu haben?
Hierzu eine schlechte und eine gute Nachricht. Die schlechte: Als Menschen besitzen wir die Fähigkeit, uns Situationen in der Zukunft unseren Wünschen gemäß vorzustellen und zu planen. Manchmal malen wir uns dabei allerdings Idealvorstellungen aus, die sich mit der Realität nur schwer vereinbaren lassen. Wunschvorstellungen vom friedlichen, harmonischen Abschied des geliebten Haustieres gehören zu dieser Gruppe von Fantasien, die leider ein hohes Enttäuschungspotenzial besitzen. Die gute Nachricht an dieser Stelle: Dein Hund teilt deine Erwartungen an das perfekte Ende nicht. Auch wenn ein ruhiger letzter Moment zuhause sicher die angenehmere Variante für ihn wäre, weißt du aus Erfahrung, was dein Hund am dringendsten braucht, um sich auch unter schweren Umständen wohlzufühlen: dich.
Bedenke ebenfalls, dass der Todeszeitpunkt nicht der letzte Moment ist, in dem du als Hundebesitzer:in für deinen Liebling da sein kannst. Denn du hast in der Hand, wie liebevoll mit dem Körper deines Tieres nach seinem letzten Atemzug umgegangen wird. Indem du deinen Hund liebevoll beerdigen oder kremieren lässt, sein Grab oder die Nische für seine Urne gestalten, kannst du ihm auch nachträglich noch liebevolle Fürsorge und Frieden schenken.
Was tun, wenn die Gewissensbisse anhalten?
Trauer um ein Haustier und die damit verbundenen Schuldgefühle nach dem Einschläfern werden in unserer Gesellschaft immer noch wenig ernst genommen. Doch der Tod eines Hundes ist ein schwerwiegender Verlust und verlangt uns auf physischer und psychischer Ebene viel ab. Solltest du dauerhaft von quälenden Schuldgefühlen verfolgt werden, ist es absolut legitim und sogar ratsam, sich bewusst Unterstützung zu suchen. Folgende Anregungen und Angebote können dabei hilfreich sein:
Das Gespräch suchen
Schuldgefühle entfalten insbesondere dann ihr schädliches Potenzial, wenn wir sie unausgesprochen mit uns herumtragen, wie einen schweren Makel, den wir vor anderen verstecken müssen. Das Verschweigen verstärkt die kreisenden Gedanken nicht nur, sie erzeugen auch das Gefühl von Einsamkeit in einer Situation, in der uns Zuwendung und Verständnis guttun würden. Viele Menschen erhoffen sich in dieser Situation Zuspruch in Internetforen und auf Social-Media zu finden und erleben dort leider, dass diese Räume gespickt von emotionsgeladenen Diskursen und versteckten Vorwürfen sind. Regel Nummer eins bei Schuldgefühlen lautet daher in jedem Fall: Spreche über deine Gewissensbisse mit einer Person, der du zutiefst vertraust und die dich nicht verurteilt – nicht mit unbekannten Menschen im Internet.
Tier-Trauerbegleitung
Einige Tierbestatter:innen und Trauerbegleiter:innen bieten Unterstützung bei der Bewältigung der Trauer um ein Haustier in Form von Gesprächen an. Die Sitzungen der Trauerbegleitung dienen als geschützter Raum, in dem Sie all Ihre Erfahrungen und Gefühle rund um den Verlust ihres Lieblings teilen können . Professionelle Trauerbegleiter:innen werden ihre Schuldgefühle bezüglich des Einschläferns nicht bagatellisieren, sondern einfühlsam und ausführlich mit Ihnen reflektieren. In einem weiteren Schritt können Sie gemeinsam mit ihrem professionellen Gegenüber Strategien entwickeln, wie Sie im Alltag mit wiederkehrenden Schuldgefühlen und anderen Anzeichen von Trauer umgehen können.
Falls Sie in ihrer Umgebung keinen Zugang zu lokaler Tier-Trauerbegleitung haben, kommt möglicherweise eine Online-Trauerbegleitung per Videocall für Sie in Frage.
Tier-Trauergruppen
In einer Tier-Trauergruppen kommen Menschen zusammen, die alle mit den emotionalen Folgen des Abschieds von ihrem Haustier zu kämpfen haben, um sich gegenseitig auf ihrem Weg zu unterstützen. Im Zentrum der regelmäßigen Treffen steht der Erfahrungsaustausch unter den Teilnehmer:innen , der von inhaltlichen Impulsen der Gruppenleitung ergänzt wird . Der Vorteil von Tier-Trauergruppen ist die Vielfalt an Ideen und Perspektiven sowie das Verbundenheitsgefühl, das in einer solchen Runde entstehen kann. Andererseits liegt in der Gruppensitzung der Fokus weniger auf den individuellen Bedürfnissen jedes einzelnen, was eine intensive Arbeit an ganz konkreten Fragen nicht immer möglich macht.
Trauer-Tagebuch
Das Teilen der schmerzlichen Erfahrung mit Vertrauenspersonen spielt eine bedeutende Rolle bei der Bewältigung anhaltender Schuldgefühle nach de r Einschläferung. Dennoch sind wir am Ende des Tages mit unseren Selbstvorwürfen und kreisenden Fragen immer wieder auf uns selbst zurückgeworfen. Wenn Sie insbesondere in der Stille der Abendstunden oder vor dem Einschlafen von ihren Gewissensbissen überfallen werden, kann das Festhalten und Sortieren ihrer Gedanken in einem Trauer-Tagebuch sehr hilfreich sein. Schreiben Sie so ehrlich und unzensiert wie möglich, ihr Trauertagebuch muss keine familienfreundliche Lektüre werden! Nachdem Sie ihrer Psyche damit den Raum gegeben haben, die quälenden Fragen mit voller Aufmerksamkeit zu bearbeiten, wird es ihnen im Anschluss leichter fallen, sie eine Zeit lang ruhen zu lassen und einzuschlafen.
Das letzte Kapitel ist nicht die ganze Geschichte
„Und was, wenn ich nach all dem Nachdenken und Darüber-Sprechen immer noch felsenfest davon überzeugt bin, dass ich mich bei der Einschläferung falsch entschieden habe? Wenn ich doch schuldig bin?“
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie tatsächlich eine gravierende Fehlentscheidung getroffen haben, möchte ich Ihnen folgenden Gedanken auf den Weg geben : Der Abschied von unseren tierischen Familienmitgliedern ist immer mit Trauer und Schmerz verbunden, auch für Herrchen und Frauchen, die scheinbar alles „richtig“ gemacht haben. Selbst wenn Sie nicht mit allen Entscheidungen in Bezug auf das letzte Kapitel ihres Liebling s im Reinen sind, haben Sie eine lange Geschichte voller schöner Erinnerungen und glücklicher Momente erlebt, die den eigentlichen Wesenskern ihrer Mensch-Hund-Beziehung ausmachen. Die vielen Jahre liebevoller Fürsorge, die Sie Ihrem Tier bereits zukommen haben lassen, werden durch einzelne Rückschläge nicht aufgehoben. Manchmal haben die schönsten Geschichten ein unperfektes Ende. Dies macht sie in ihrer Gänze jedoch nicht weniger erfüllt und berührend.
Über die Autorin:
Christina Wiesner ist als selbstständige Trauerbegleiterin und Coach tätig. In ihrer Arbeit setzt sie sich für einen individuellen und achtsamen Umgang mit Trauer ein – auch um tierische Familienmitglieder .
Literaturtipps:
Eva Dempewolf, Abschnied nehmen – Trauer um geliebtes Tier. Berlin: Fred & Otto (2015). Elli H. Radinger, Abschied vom geliebten Hund. München: Ludwig (2022).