Eine Kandare ist ein Hebelgebiss, das vor allem in der Dressur, aber auch im Springsport und bei manchen Reitweisen verwendet wird. Sie kommt in erster Linie unterstützend bei höheren Lektionen zum Einsatz und gehört nur in erfahrene, ruhige und gefühlvolle Hände. Das hat damit zu tun, dass sie aufgrund ihrer Konstruktion stärker auf das Pferdemaul einwirkt als die Trense. Eine Kandare eignet sich keinesfalls dazu, das Pferd zu kontrollieren, zurückzuhalten oder am Durchgehen zu hindern, sondern ist für die feine Kommunikation zwischen Tier und Mensch gedacht und ermöglicht präzise Hilfengebungen. In unserem Artikel erklären wir, wie eine Kandare funktioniert, welche Besonderheiten für Ausführungen für die Dressur gelten und worauf es beim Gebrauch ankommt.
Was ist eine Kandare? Aufbau und Funktionsweise
Der Begriff Kandare leitet sich vom Ungarischen kantár ab, was mit „Zaumzeug“ übersetzt werden kann. Es handelt sich dabei um ein ungebrochenes Gebissstück, das auf dreierlei Weise wirkt – und zwar durch Zug, Druck und insbesondere durch Hebelkraft. Um das zu verstehen, muss man sich den Aufbau der Kandare näher anschauen. Die Basis bildet eine starre Gebissstange, die durch das Maul des Pferdes geführt wird und direkt auf dessen Zunge liegt. An den Seiten der Stange sind Querschenkel angebracht, die sogenannten „Anzüge“ oder „Bäume“. Diese verlaufen außerhalb des Pferdemauls. Unterschieden werden der Ober- und der Unterbaum. Der Oberbaum ist die Befestigungsstelle für das Backenstück des Kandarenzaums und mit Haken zum Einhängen der Kinnkette ausgestattet, die unterhalb des Pferdekinns in der Kinngrube verläuft. Am Unterbaum sind Ringe für die Anbringung der Kandarenzügel angebracht.
Die Funktionsweise ist nun wie folgt: Indem der Reiter oder die Reiterin am Kandarenzügel zieht, entsteht ein Zug auf das Pferdemaul in Richtung Reiterhand. Gleichzeitig wird der Unterkiefer zwischen Gebissstange und Kinnkette gepresst. Feingefühl ist an dieser Stelle extrem wichtig, denn ist der Zug zu stark, kann das Quetschungen oder schlimmstenfalls einen Bruch des Unterkiefers zur Folge haben. Zusätzlich wirkt eine Hebelkraft. Sie wird erzeugt, indem sich Ober- und Unterbaum durch den Zug um die Gebissstange drehen. Auf diese Weise wird Druck auf das Genick des Pferdes ausgeübt. Das zeigt sich daran, dass das Pferd den Kopf senkt.
Die Intensität der Hebelwirkung hängt vom Längenverhältnis zwischen Oberbaum und Unterbaum ab. Üblich sind die Verhältnisse 1:1,5 bis 1:2. Je länger der Unterbaum im Verhältnis zum Oberbaum ist, desto größer ist die Hebelkraft, wobei auch Kandaren mit kurzen Unterbäumen eine nicht zu unterschätzende Wirkung erzielen können.
Die Kandare in der Dressur
In der Dressur wird die Kandare immer in Kombination mit einer Unterlegtrense verwendet, um den Druck auf den Pferdekopf zu begrenzen. Eine Unterlegtrense ist als einfach oder doppelt gebrochenes Gebissstück ausgeführt und liegt über der Kandarenstange im Maul des Pferdes. Da die Kapazität eines Pferdemauls naturgemäß begrenzt ist, sind Unterlegtrensen dünner konstruiert als Standardtrensen und haben kleinere Gebissringe, damit sie nicht mit den Bäumen des Kandarengebisses kollidieren.
Dressurkandaren erfordern einen speziellen Kandarenzaum. Dieser besteht fast immer aus einem Englischen Reithalfter, da es im Gegensatz zu den meisten anderen Halfterarten eine optimale Lage der Gebissstangen im Pferdemaul ermöglicht. Des Weiteren sind zwei Backenstücke angebracht, an denen das Kandarengebiss und die Unterlegtrense befestigt werden. Hinzu kommt die Kinnkette. Sie wird an den rechten und linken Kinnhaken der Kandare eingehakt.
Eine Besonderheit der Dressurkandare besteht darin, dass mit zwei Zügelpaaren geritten wird. Das heißt, sowohl am Kandarengebiss als auch an der Unterlegtrense ist jeweils ein Paar angebracht. Die Zügelhilfen werden hauptsächlich über die Unterlegtrense gegeben, während die Kandarenzügel lediglich zur Verfeinerung und somit dosierter zum Einsatz kommen.
Voraussetzungen für das Reiten auf Kandare: Die Kandarenreife
Wer sich dem Dressursport verschrieben hat und an höherklassigen Turnieren teilnehmen möchte, kommt an der Kandare nicht vorbei. Ab Klasse L ist sie erlaubt, ab Klasse M wird sie erwartet und ab Klasse S ist sie verpflichtend. Spätestens dann heißt es, von der Trense auf die Kandare umzusteigen, sofern man die Prüfungen absolvieren möchte. Bei richtigem Gebrauch ermöglicht es die Kandare, feine Zügelhilfen zu geben und sich dadurch hohe Dressurlektionen mit dem Pferd zu erarbeiten. So lernt es beispielsweise schneller, sich zu versammeln – also sich aufzurichten und auf die Hinterhand zu setzen.
Da eine Kandare gleich drei Wirkpunkte hat, kann sie auf den Pferdekopf eine enorme Kraft ausüben. Dementsprechend besteht ein großes Risiko, das Tier zu verletzen. Der Gebrauch einer Kandare geht deshalb mit einer hohen Verantwortung einher. Sowohl Tier und Mensch müssen bereits eine gewisse Ausbildung durchlaufen haben und bestimmte Fähigkeiten beherrschen, um die sogenannte Kandarenreife zu erlangen.
Der Reiter oder die Reiterin muss
- unabhängig vom Zügel ausbalanciert und losgelassen zum Sitzen kommen und in die Bewegung des Pferdes eingehen können
- eine weiche Reiterhand haben und gefühlvoll, gleichmäßig und koordiniert auf das Pferd einwirken
- das harmonische Zusammenspiel treibender und verhaltender Hilfen beherrschen
Auch an das Pferd werden Anforderungen gestellt. Das Tier muss
- sich ehrlich, ruhig und zufrieden mit dem Trensengebiss an die Hand des Reiters oder der Reiterin anlehnen
- ausbalanciert sein und sich selbst tragen (= nicht auf den Zügeln abstützen)
- gut auf Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen reagieren und sie akzeptieren
- die ersten fünf Punkte der Ausbildungsskala (Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung und Geraderichtung) beherrschen und Bereitschaft für Punkt sechs, die Versammlung, zeigen
Wann der Übergang von der Trense auf die Kandare erfolgt, ist individuell unterschiedlich. Das Pferd sollte sich gemäß der Skala der Ausbildung sicher reiten lassen, was bei manchen früher, bei manchen später der Fall ist. Die Einschätzung des Reiters oder der Reiterin spielt hier eine große Rolle. Er oder sie muss wissen, was das Pferd gegebenenfalls noch braucht, um die Kandarenreife zu erlangen. Zudem gilt es, sich selbst zu hinterfragen, ob man die reiterlichen Fertigkeiten besitzt, sein Pferd auf Kandare zu reiten, und ob man das überhaupt möchte. Letztlich ist es eine Entscheidung, bei der das Wohl des Tieres über den eigenen Ambitionen stehen sollte.
Der Umstieg von Trense auf Kandare
Der Umstieg vom Trensen- auf das Kandarengebiss sollte möglichst behutsam erfolgen. Wichtig ist, sich vom Ausbilder oder der Ausbilderin beraten und begleiten zu lassen – sowohl was die Auswahl einer geeigneten Kandare als auch den Umgang damit betrifft. Das richtige Modell zu finden und passend einzustellen, ist nicht einfach. Eine professionelle Einschätzung kann dabei sehr hilfreich sein.
Beim Reiten auf Kandare ist entscheidend, ein Gefühl für die Verbindung zwischen Hand und Pferdemaul zu entwickeln. Das Führen der Zügel erfordert viel Sorgfalt und Einfühlungsvermögen, da es leicht passieren kann, dass sich das Kandarengebiss im Maul verschiebt und beim Tier Schmerzen oder Verletzungen verursacht. Empfehlenswert in dem Zusammenhang ist die Drei-zu-Eins-Zügelführung: Die linke Hand hält beide Kandarenzügel und den linken Unterlegtrensenzügel, die rechte Hand hält den rechten Unterlegtrensenzügel. Bei dieser Methode liegt das Kandarengebiss ruhig im Pferdemaul, was dem Tier eine bessere Eingewöhnung ermöglicht.
Zu Beginn reicht es, das Pferd ein bis drei Mal pro Woche auf Kandare zu reiten. Es sollte langsam und schrittweise an die Kandare herangeführt werden. Ziel muss es sein, dass das Tier die Kandare als etwas völlig Normales begreift. Das Erlernen von Lektionen ist erst einmal zweitrangig. Viel wichtiger ist, dass das Pferd sicher auf Kandare reitet. Dafür muss der Reiter oder die Reiterin ein Gespür haben. Um eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, wie sich das anfühlt, sollte man vorab möglichst häufig auf gut ausgebildeten Pferden reiten, die die Kandare kennen.
Eine Kandare darf niemals dazu missbraucht werden, reiterliche Fehler zu kaschieren oder Trainingsprobleme zu korrigieren. Ebenso ist sie kein Ersatz für die Trense. Die Trense ist das Hilfsmittel Nummer 1, wenn es um die Basisarbeit geht, und sollte hauptsächlich genutzt werden. Die Kandare kommt immer nur temporär zum Einsatz.
Kandare richtig verschnallen
Wer sein Pferd auf Kandare reiten möchte, muss wissen, wie das richtige Verschnallen funktioniert. Ein optimaler Sitz ist Voraussetzung dafür, dass die Übungseinheiten für das Pferd nicht zur Tortur werden und das Training Früchte trägt. Dabei gilt es auf folgende Punkte zu achten.
Unterlegtrense:
- Die Unterlegtrense sollte in Form und Größe (= Gebissweite) der Standardtrense entsprechen, an die das Pferd gewöhnt ist.
- Die Unterlegtrense wird an derselben Stelle im Maul platziert wie die Standardtrense. Nicht höher.
- Der Abstand zum ersten Backenzahn im Unterkiefer sollte mindestens 1 bis 2 cm betragen, damit die Unterlegtrense die Zähne beim Annehmen der Zügel nicht berührt.
- Welche Stärke die Unterlegtrense haben sollte, hängt von der Größe des Mauls ab. Üblich sind 12 bis 14 mm.
Kandarengebiss:
- Das Kandarengebiss wird im Maul etwas unterhalb der Unterlegtrense platziert.
- Das Pferdemaul ist hier schmaler, deswegen sollte die Kandarenstange 0,5 bis 1 cm kleiner als die Unterlegtrense sein, damit die Seitenteile außen am Maul bündig abschließen. Dadurch liegt das Gebiss ruhiger im Maul und verkantet sich nicht so schnell.
- Welche Stärke das Kandarengebiss haben sollte, hängt von der Größe des Mauls ab. Üblich sind 16 mm in Kombination mit einer 14 mm Unterlegtrense.
Kandarenzaum:
- Der Kandarenzaum muss in Form und Größe zum Pferdekopf passen.
- Der Nasenriemen liegt zwei Finger breit unter dem Jochbein.
- Die Kinnkette liegt dicht an der Kinngrube an (nicht zu eng, nicht zu locker). Die Glieder sind ausgedreht und liegen mit der flachen Seite am Unterkiefer an.
- Beim Annehmen der Zügel sollte das Kandarengebiss im 45°-Winkel zum Pferdemaul stehen.
Eine Kandare muss optimal auf die Anatomie des Pferdkopfes und die Platzverhältnisse im Pferdemaul angepasst sein. Die beiden Gebissstangen dürfen sich bei Zügelannahme nicht berühren. Das ist umso schwieriger, je weniger Platz im Maul vorhanden ist. Aus diesem Grund werden Kandarengebisse und Unterlegtrensen in unterschiedlichen Formen angeboten. So gibt es beispielsweise leicht gebogene oder nach vorne geneigte Kandarenstangen sowie anatomisch geformte Unterlegtrensen, die platzsparender sind. Ebenso ist zu überlegen, wie viel Zungenfreiheit die Kandare bieten soll. Hat das Pferd eine dicke Zunge oder empfindet Druck auf der Zunge als unangenehm, kann ein Gebiss mit ausgeprägter Zungenfreiheit eine gute Lösung sein.
Fazit
Das Reiten auf Kandare bietet die Möglichkeit, die Kommunikation zwischen Tier und Mensch noch weiter zu verbessern und zu präzisieren, was vor allem in der hohen Dressur unverzichtbar ist. Dennoch sollte die Kandare mit Bedacht eingesetzt werden, da sie sich erheblich auf das Maul und Genick des Pferdes auswirkt und bei falscher Handhabung Verletzungen verursachen kann. Ein hohes Maß an Erfahrung und Feingefühl auf Seiten des Menschen und eine solide Grundausbildung beim Pferd sind Voraussetzung dafür, das sichere Reiten auf Kandare zu erlernen und Lektionen zu verfeinern.
FAQ: Häufig gestellte Fragen zum Reiten mit Kandare
Was ist der Unterschied zwischen einer Kandare und einer Trense?
Die Trense wirkt auf die Zunge und den Kiefer des Pferdes, während die Kandare durch die Anzüge und die Kinnkette eine Hebelwirkung hat, die zusätzlichen Druck auf das Genick ausübt.
Was ist eine Babykandare?
Eine Babykandare hat kürzere Anzüge bzw. Bäume und daher eine geringere Hebelwirkung. Sie wird oft jüngeren Reiterinnen und Reitern empfohlen, die mit der Kandare noch nicht so vertraut sind, und eignet sich für das Reiten von empfindlicheren Pferden.
Was bedeutet “in Anlehnung auf Kandare reiten”?
“In Anlehnung” bedeutet, dass das Pferd mit leichtem Kontakt zum Gebiss arbeitet, dabei locker im Genick bleibt und die Zügelverbindung als unterstützend empfindet. Auf Kandare sollte das Pferd ebenso leicht an den Zügel herantreten, ohne gegen den Druck zu arbeiten oder den Kopf zu versteifen.
Wie erkenne ich, dass mein Pferd die Kandare ablehnt?
Wenn ein Pferd die Kandare ablehnt, kann es sein, dass es den Kopf schüttelt, das Gebiss aus dem Maul schiebt, stark kaut, den Zügel verweigert oder den Kopf gegen die Hand des Reiters oder der Reiterin drückt. Solche Anzeichen deuten darauf hin, dass die Kandare dem Tier unangenehm ist oder falsch verwendet wird.
Sollte ich mein Pferd krankenversichern, wenn ich auf Kandare reite?
Es ist generell ratsam, eine Pferdekrankenversicherung abzuschließen. Allerdings ist das Reiten auf Kandare mit besonderen Risiken verbunden. Es erfordert eine hohe Präzision und selbst erfahrene Reiter und Reiterinnen können Fehler machen, die zu Verletzungen führen. Eine Krankenversicherung hilft, die Kosten für tierärztliche Behandlungen abzudecken.